Der Porzellankünstler Emmanuel Boos im Atelier

Interview mit emmanuel boos

GKf: Sie sind in Frankreich geboren, haben in den USA, in Asien und in Großbritannien die Keramik studiert und praktiziert. Außerdem haben Sie auch ein Atelier in Mannheim. Welchen Einfluss hat diese internationale Ausbildung auf Ihr keramisches Schaffen?
Ja, ich bin viel umgezogen, das ist wahr. Und ich bewege mich immer noch viel. Aber es ist nicht so sehr das Reisen, das mich anzieht, sondern das Leben im Ausland, wobei ich immer versuche, mich voll zu integrieren und vor allem die Sprache der Länder zu lernen, in denen ich mich niederlasse.
Aber bei Keramik ist das ein bisschen anders. Ich möchte nicht unbedingt die umgangssprachliche Keramiksprache lernen. Sicherlich sind es oft Länder mit großer Tradition oder immerwährenden keramischen Praktiken, die mich anziehen. Sicherlich haben sie mich wahrscheinlich beeinflusst oder zumindest informiert, kultiviert, erzogen. Aber ich habe nie danach gestrebt, lokale Ästhetik oder Praktiken zu assimilieren oder zu kopieren. Heute ist meine künstlerische Herangehensweise an die Keramik ausgereift und sie ist meine eigene. Manchmal arbeite ich sogar gegen den Strom der lokalen Ästhetik und Praktiken.

Andererseits ist es vielleicht auch notwendig zu betonen, dass das Reisen ein persönliches Bestreben ist, das mit meiner keramischen Praxis verbunden ist – ich glaube außerdem, dass das Reisen und vor allem das Exil über meinen persönlichen Ansatz hinaus eine wesentliche Beziehung zur Keramik entfachen – dass es auch Risiken und Gefahren birgt. Reisen wird als Beitrag gesehen, ist aber auch ein Verlust. Der Verlust ist in erster Linie persönlich, er hat aber auch eine berufliche Dimension, da die Auswanderung oft bedeutet, am Rande zu stehen, ignoriert zu werden, unsichtbar zu sein und es schwierig und zeitaufwendig ist, als „Außenseiter“ Zugang zu neuen lokalen Netzwerken zu finden.

„Cubes“ von emmanuel boos

GKf: Zuletzt waren Sie von 2016 bis 2019 Residenzkünstler an der Staatlichen Porzellanmanufaktur Sèvres. Dort haben Sie sich viel mit Glasuren auf kubischen Formen und der Suche nach dem „schönen Imperfekten“ auseinandergesetzt. Können Sie uns etwas über diese besondere Zusammenarbeit erzählen?

Bevor ich dort gearbeitet habe, war Sèvres für mich eher abstoßend, das heißt, das Porzellan von Sèvres schien mir sehr weit weg von meiner künstlerischen Beschäftigung. Wir schienen Opponenten zu sein. Sèvres kultiviert das Image von Perfektion und Meisterschaft und ich bin nur der Experte für meine Schwierigkeiten mit der Keramik. Es war nicht einfach, sich zu finden, aber schließlich gelang es uns. Dieses Projekt des „schönen Imperfekten“ bestand darin, einige meiner künstlerischen Überzeugungen an der Manufaktur auf die Probe zu stellen: meinen Geschmack für die Unvollkommenheit, für die Materialität der Glasur, für ihre Besonderheit gegenüber der Malerei und schließlich für eine Poetik des Gleich- und Ungleichgewichts. Das „schöne Imperfekte“ ist auch die – freilich sehr umstrittene – Hypothese, dass es einen „Willen“ des Materials gibt. Das heißt, dass die Materie nicht nur ein „behandeltes“ Objekt wäre, sondern dass sie teilweise Subjekt und teilweise Akteur wäre. In Sèvres sagen die Künstler sehr oft, dass „das Porzellan lebt“.

emmanuel boos in Sèvres (2017)

GKf: Sie haben sogar wissenschaftlich über Keramik geforscht und zum Thema „The Poetics of Glazes. Ceramic Surface and the Perception of Depth“ 2011 am Royal College of Art in London promoviert. Inwiefern hat diese theoretische Beschäftigung mit dem Material Ihr künstlerisches Schaffen beeinflusst?

Das Doktorat, das ich am RCA absolviert habe, war nicht nur eine theoretische Beschäftigung. Es handelte sich um eine Promotion durch künstlerische Praxis, das heißt, es gibt zwei Aspekte: einen in Keramik, der andere schriftlich. Die beiden sind eng miteinander verwoben. Grob kann man sie unterscheiden als Praxis und Theorie (wobei das schriftliche Element auch sehr kreativ sein kann). Aber die Praxis ist kein Abbild der Theorie und die Theorie ist keine Erklärung der Praxis.

Nach fünf Jahren Forschung hatte sich meine Arbeit radikal verändert. Formal auf jeden Fall, da ich das händische Drehen und Formen der Gefäße aufgegeben habe, um mit der Plattenwalze und mit dem Gießverfahren zum Erhalt von geschlossenen oder wandigen Gefäßen zu arbeiten. Ich habe mich von den rein technischen Ansichten, die in der Glasurforschung vorherrschen, entfernt, um einen Ansatz zu wählen, der vor allem spielerisch und poetisch ist: die „metis“, d.h. der Scharfsinn, der sich als praktisches, komplexes, implizites Wissen von der „techne“ – der Wissenschaft – unterscheiden lässt, Finesse vor Geschicklichkeit, Liebe vor Macht.

GKf: Erfreulicherweise werden Sie 2022 Teil der Jury zum Richard-Bampi-Preis sein. Was verbindet Sie mit Richard Bampi, der ebenfalls international tätig war und auch in Baden-Württemberg sein Atelier hatte?

Teil der Keramikserie „Cubes" von emmanuel boss
Teil der „Cubes“-Serie

Bis jetzt war ich mit der Arbeit von Richard Bampi nicht sehr vertraut. Aber nach einigen Recherchen über seine Werke und sein Leben konnte ich einige Verbindungen zu ihm erkennen. Mir gefällt die Ästhetik einiger seiner Glasuren sehr gut, vor allem die mit einer seidenmatten Erscheinung. Sie erinnern mich in Frankreich an die von Émile Decœur und meines Lehrmeisters Jean Girel. Ich teile auch seine Faszination für die Glasurtropfen, für den fast geschlossenen Charakter seiner Gefäße, ihre Asymmetrie und auch für seine Sensibilität für Ästhetik und fernöstliche Philosophie. Bampi versuchte, „von dem Material heraus schöpferisch zu wirken. Dabei entdeckte er plastische und malerische Reize von Scherben und Glasur als künstlerische Ausdrucksmittel.“ (Aus: Maria Schüly: Richard Bampi Keramiker der Moderne, 2006), und darin stimme ich ihm weitgehend zu, da meine Arbeit gerade darin besteht, das Potenzial und die künstlerische Spezifität des Materials Keramik zu erforschen. Schließlich ist da noch sein Interesse an der Baukeramik, die auch mich momentan sehr fasziniert. Seine zahlreichen Forschungen über Kristallglasuren könnten mich zu der Annahme verleiten, dass ich mich ihm auch hier nähere. Meine Position in Bezug auf Letzteres bleibt jedoch zweideutig und ist sehr stark mit meiner Forschung im Labor der Manufaktur von Sèvres verbunden.
Tatsächlich stehe ich vielleicht sogar einem seiner Mitarbeiter und Freunde näher: Julius Bissier, der Bampis Kunst manchmal als „bunt und laut“ beurteilte und ihm gleichzeitig verbunden und wohlwollend gegenüberstand.

GKf: Sie sind selbst Preisträger zahlreicher internationaler Auszeichnungen. Welchen Stellenwert haben diese Preise für Sie als selbstständiger Künstler? Wie wichtig sind sie Ihrer Erfahrung nach für einen künstlerischen Werdegang?

Arbeit „Monolithe"
„Monolithe“ aus dem Jahr 2017

Am Anfang meiner Künstlerkarriere haben mir die Preise, die ich gewonnen habe, sehr geholfen. Erstens, weil sie mir Vertrauen in meine künstlerischen Entscheidungen gaben. Dann, weil sie mir einen gewissen Bekanntheitsgrad verschafften, der die Aufmerksamkeit von Galerien und Sammlern auf sich zog. Aber man gewinnt sie nicht immer und man muss ihre Bedeutung für die eigene Karriere relativieren. Nachdem ich nun auf die andere Seite, die der Jury, gewechselt bin, weiß ich auch, dass Jurys einer Logik und Dynamik gehorchen, die manchmal ein wenig verwirrend sind und zu Ergebnissen führen, die unerwartet sein können, vielleicht sogar verkehrt!


GKf: Der Wettbewerb um den Richard-Bampi-Preis 2022 wird in Kooperation mit der Meissen Porzellan-Stiftung und der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Meissen ausgerichtet. Abgesehen von einem Preisgeld wird diesmal auch eine Zusammenarbeit mit der Manufaktur ausgeschrieben. Was würden Sie jungen Nachwuchskeramikern mit auf den Weg geben, die sich für den Preis bewerben möchten?

Was für ein Glück! Diese Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit Meissen ist eine einmalige und außergewöhnliche Chance, und ich ermutige natürlich alle jungen Keramikerinnen und Keramiker, daran teilzunehmen, auch wenn sie bisher kein Interesse an oder Erfahrung mit Porzellan entwickelt haben und auch wenn Meissen vielleicht gegensätzlich zu ihrem künstlerischen Ansatz zu sein scheint, wie es für mich eine Zeit lang in Sèvres war. Man kommt an Meissen nicht vorbei. Seine Geschichte ist so reich, sein Wissen und seine Fähigkeiten zweifellos auch.

boos-Arbeit für das Studio von Caroline Sarkozy (2016)

GKf: Welche Projekte würden Sie gerne noch verwirklichen?

Ich würde selbst gerne mal eine Zeit lang in Meissen arbeiten (lacht).
Ein Projekt, das mir sehr am Herzen liegt und welches mich schon seit einiger Zeit immer mehr beschäftigt, ist die Verwendung von Keramik in der Architektur. Ich habe schon ein paar Innenarchitekturprojekte gemacht: Kamine, Möbelstücke, Rückwände. Zunächst arbeitete ich mit der Pariser Innenarchitektin Caroline Sakozy zusammen. Heute bekomme ich Aufträge aus den USA: Studio Shamshiri in Los Angeles oder Heather Wells in Boston. Ich würde auch gerne eine architektonische Keramikfassade schaffen wie Alexandre Bigot in Paris im letzten Jahrhundert oder Manuel Herz und Niels Dietrich in Mainz für die neue Synagoge vor kurzem.

Das Interview führte Dr. Marlen Topp,
Beauftragte der Gesellschaft der Keramikfreunde für den Richard-Bampi-Preis.